Die kleine Halbinsel Katendrecht im Herzen Rotterdams kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Vom international bekannten Rotlicht- und Amüsierviertel im Zuge von Strukturwandel in Hafen und Schifffahrt zum „Problemviertel“ verkommen, entwickelt sich „De Kaap“, wie die Einwohner Rotterdams das Viertel liebevoll nennen, zunehmend zu einem der spannendsten Quartiere der Hafenstadt.
Willkommen auf „De Kaap“!
Sanft schunkeln die Taxiboote in den kleinen Wellen des Rijnhaven. Das Mondlicht entlockt dem Wasser Millionen funkelner Diamanten und am Ufer gegenüber erzählt die Fassade des „Hotel New York“ Geschichten längst vergangender Zeiten.
So eine kitschig-schöne Stimmung Stimmung kannst du auf der Außenterrasse von der „Fenix Food Factory“ in Katendrecht potenziell allabendlich erleben.
Die „Fenix Food Factory“ war 2014 unter den ersten neuen Unternehmen, die sich in Katendrecht angesiedelt haben und gehörte damit zu den Vorreitern einer Entwicklung, die das in der öffentlichen Berichterstattung vormals nur mit negativen Seiten assoziierte Quartier zu einem „Paradies für Feinschmecker“ werden ließ.
Und tatsächlich ist die Fülle und Vielfalt an kulinarischen Highlights auf der kleinen Halbinsel beeindruckend. Rund um den triangulären Platz „Deliplein“ haben sich hervorragende Restaurants, liebevoll geführte Cafés und spannende kleine Läden, Theater, Museen sowie eine Zirkusschule angesiedelt.
Allerdings ist das Viertel im Stadtteil Feijenoord weit davon entfernt, zur Spielwiese von Immobilienspekulanten und künstlerisch affinem Establishment zu verkommen. Nur einen Häuserblock vom Deliplein sind die rauen Kanten von Katendrecht allgegenwärtig: Müll weht durch die Straßen, viele Häuser machen einen verwahrlosten Eindruck und auch vielen der 4000 Bewohnern sieht man an, dass das Leben nicht immer nur nett zu ihnen war.
Aber auch sie profitieren von der Aufwertung ihres Viertels. Katendrecht und auch die Probleme seiner Bewohner sind wieder stärker in die öffentliche Wahrnehmung gerückt und es wurden und werden viele Anstrengungen unternommen, die Lebensqualität der Bewohner zu erhöhen. Parkanlagen wurden neu gestaltet, Häuser werden verstärkt renoviert und eine Reihe wichtiger infrastruktureller Verbesserungen durchgeführt. So wurde beispielsweise eine neue Fussgängerbrücke gebaut, die das Viertel mit dem benachbarten Viertel Kop van Zuid verbindet. Auch die Betreiber der kreativ-kulinarischen Geschäfte und Einrichtungen sehen sich als Bestandteil des Viertels und setzen sich entsprechend für verbesserte Wohn- und Lebensbedingungen in Katendrecht ein.
Allerdings ist es nicht immer einfach, die Interessen aller Bewohner unter einen Hut zu bringen, denn die Einwohnerschaft spiegelt die bunte und bewegte Geschichte des Viertels wider.
Katendrecht im Wandel der Zeit
Ursprünglich war Katendrecht ein kleines, beschauliches Dorf in schönster Flusslage. Viele der wohlhabenden Bürger Rotterdams hatten hier ein Wochenendhaus, genossen an den freien Tagen die Idylle und die Nähe zum Wasser.
1895 wurde Katendrecht Rotterdam eingemeindet und zum Hafengebiet deklariert. Zu dieser Zeit wurde der Rotterdamer Hafen beständig ausgebaut und besonders die Fertigstellung des „Maashavens“ im Jahre 1905 wandelte das Viertel schon bald in ein typisches Hafenviertel um.
Amüsierlokale und Seemansspelunken entstanden, Bordelle, leichte Mädchen und Matrosen in Feierlaune prägten das Stadtbild. Das erste Tätowierstudio der Niederlande wurde hier eröffnet und befindet sich noch heute in Katendrecht.
Bei allen Problemen, die ein Rotlichtviertel so mit sich bringt, war Katendrecht insgesamt ein florierendes und wohlhabendes Viertel.
Dies änderte sich rapide nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Rotterdamer Hafen beständig Richtung Nordsee wanderte und auch die anlegenden Schiffe durch die damals neue Containerwirtschaft immer kürzere Liegezeiten hatten. Katendrecht wandelte sich zunehmend in ein Viertel für sozioökonomisch benachteiligte Menschen mitsamt den negativen Auswirkungen auf das Zusammenleben.
Bis zur Jahrtausendwende galten Katendrecht und angrenzende Viertel wie das inzwischen komplett gentrifizierte Kop van Zuid als die problematischsten Viertel Rotterdams.
Allerdings wurden bereits seit den 1970er Jahren seitens der Stadt Überlegungen angestellt, wie man die Viertel südlich der Nieuwe Maas aufwerten und das Gebiet insgesamt besser in die Stadt integrieren könne. Verschiedene Projekte wurden begonnen, aber aus unterschiedlichen Gründen nie fertiggestellt.
Erst Ende der 1980er Jahre wurde ein neuer Vorstoß gewagt, der, co-finanziert von der Stadt Rotterdam und der niederländischen Regierung, vor allem die komplette Umgestaltung von Katendrechts Nachbarviertel „Kop van Zuid“ bis 2010 vorsah, aber auch strukturelle Verbesserungen für das benachbarte Kartendrecht erzielen sollte. Die 1996 eröffnete Erasmusbrücke ist eines der bekanntesten Ergebnisse der strukturellen Anbindung der Stadtteile südlich der Niuewe Maas an das Zentrum Rotterdams.
Allerdings bestanden über eine verbesserte infrastrukturelle Anbindung Katendrechts an das Zentrum der Stadt keine konkreten Pläne, wie der soziale Verfall des Viertels aufgehalten werden könne.
Dies änderte sich erst, als zwei junge und kreative Unternehmer der Stadt ihr Konzept der „Fenix Food Factory“ darlegten, die eine neue Nutzung der alten, heruntergekommenen Lagerhallen am Nordufer von Katendrecht vorsahen. Genau dort, wo die neu gebaute Fußgängerbrücke, die „Rijnhavenbrug“, Katendrecht mit dem benachbarten Kop van Zuid verbindet, sollte ein kooperativ genutzter Ort für lokale Kleinunternehmen entstehen, an dem zusammen produziert, gegessen und getrunken wird.
2014 eröffnete die „Fenix Food Factory“ und hat sich seitdem zum wichtigen Besuchermagneten entwickelt. Auch wurden andere Unternehmer durch das erfolgreiche Beispiel auf das Potenzial des Viertels aufmerksam und trieben die Entwicklung Katendrechts zum „Paradies für Feinschmecker“ weiter voran.
Eine Entwicklung, die immer noch im vollen Gange ist und deren Auswirkungen auf das Viertel bis dato als überwiegend positiv zu bewerten sind.
Kulinarische Highlights auf Katendrecht
Lass uns bei all der spannenden Geschichte Katendrechts nicht den genaueren Blick auf die kulinarischen Highlights des Viertels vergessen. Das wäre nicht nur schade, sondern auch ein großer Frevel! Ich war bei meinem Besuch fasziniert von den vielen gemütlichen und mit viel Liebe fürs Detail geführten Geschäften.
Da sich die meisten Cafés und Restaurants rund um den Platz „Deliplein“ angesiedelt haben, ist es nicht schwer, sich bei einem Rundgang einen Überblick zu verschaffen.
Als kleine Orientierung, hier meine Highlights:
Fenix Food Factory (Fenix I)
Die bereits weiter oben erwähnte Fenix Food Factory (inzwischen „Fenix I“) ist ein Zusammenschluss mehrerer verschiedener Läden, die zusammen eine alte Lagerhalle mit neuem Leben gefüllt haben.
Es gibt hier unter anderem einen Gemüsehändler, einen Bäcker, einen Buchladen, mehrere Food Stalls, eine Kafferösterei, den ersten Cider Shop der Niederlande sowie die hervorragende Craft-Beer-Brauerei „Kaapse Brouwers Rotterdam“ (siehe auch weiter unten!).
Oft werden auch Seminare zu verschiedenen Themen angeboten. Und die Terrasse mit Blick auf den Wilhelminapier und das Hotel New York ist bei gutem Wetter einfach unschlagbar.
UPDATE: Im Februar 2020 ist die Fenix Food Factory umgezogen. Sie befindet sich nun im Nachbargebäude unter dem Namen „Fenix I“.
Das Kopi Soesoe ist eine einzigartige Mischung aus coolem Café, Bistro, Bar und Live Music Venue. Hier gibt es super Kaffee (auch eine indonesische Hausvariante!), Frühstück, abgefahrene Sandwiches (z.B. eins mit Erdnussbutter, Sambal, Ananas, Käse, Banane und Bohnensprossen), New York style Cheesecake sowie allerlei andere kulinarische Überraschungen.
Abends gibt es oft Konzerte in dem kleinen und familiären Kopi Soesoe sowie Spieleabende, Pubquiz-Abende oder andere Motto-Abende.
Die Musik kommt oft von Vinyl, was ich als Plattenliebhaber immer überaus sympathisch finde und es gibt ein paar gute Biere zur Auswahl. Geheimtipp!
Direkt nebenan findest du das „De Zeeuwse Meisjes“. Es ist Café, Designgeschäft und Galerie in einem. Die beiden Gründerinnen kennen sich seit Kindertagen, wuchsen in der gleichen Straße auf und hatten die Idee für ihr Café während eines gemeinsamen Neuseeland-Trips.
Das „De Zeeuwse Meisjes“ ist ein sehr liebevoll gestalteter und geführter Ort, mit sehr viel Sinn fürs Detail. Die Atmosphäre ist gemütlich und entspannt. Ein guter Ort für einen Kaffee, ein Stück Kuchen und für alle FreundInnen von besonderen Accessoires auch ein guter Platz zum Shoppen besonderer Mitbringsel aus Rotterdam.
Die Kaapse Brouwers Rotterdam gehört für jeden Bier-Fan zum Pflichtprogramm eines Rotterdam-Besuchs. Da ich noch nicht alle Brauereien der Stadt kenne, kann ich mich hier nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber – soviel kann ich sagen – ich wäre sehr verwundert, wenn ich eine bessere in Rotterdam fände.
Biere aus sage und schreibe 30 Zapfhähnen stehen zur Auswahl, darunter immer auch einige spannende nationale und internationale Gastbiere.
Ursprünglich wurden alle Biere direkt vor Ort auch gebraut. Mit wachsender Produktion werden die meisten der Biere mittlerweile in einer zweiten Brauerei gebraut. Die in kleinerer Auflage produzierten experimentelleren Biere entstehen jedoch weiterhin direkt vor Ort.
Die Kaapse-Brauer verstehen ihr Handwerk und legen zusätzlich eine große Portion Experimentierfreude an den Tag. Du findest hier neben eher klassischen Bierstilen wie English Bitter oder IPA auch solch spannende Kreationen wie White Wine Saisons, Kamillen-Pale-Ale sowie verschiedene Barley Wines und Barrel Aged Beers.
Ein weiteres, wie ich finde äußerst streitbares, Beispiel für die Experimentierfreude der Brauerei ist ihr Bakvis-Bier, ein Stout, das mit getrocknetem Fisch versetzt wurde.
Die Beratung ist freundlich und kompetent. Falls du gerne so viele verschiedene Biere wie möglich verkosten möchtest, bekommst du hier auch ein Tasting Set.
Direkt neben der Bar befindet sich der hauseigene Bottle Shop, in dem du dein Lieblingsbier sowie viele weitere niederländische wie internationale Biere direkt mit nach Hause nehmen kannst. Es gibt hier auch eine große Auswahl an De Molen-Bieren.
Wenn dir der Sinn nach etwas mehr Klassik oder stärkeren Getränken steht, findest du auf der anderen Seite des „Deliplein“ das Café de Ouwehoer. Der Name bedeutet so viel wie „Die alte Dirne“ und spielt auf die Rotlichtvergangenheit von Katendrecht an.
In der schicken, klassisch eingerichteten Bar, findest du etwa 100 verschiedene Sorten Whisky und über 20 verschiedene Sorten Bier.
Die Musik orientiert sich in Richtung Rock ’n‘ Roll und das Publikum sowie das Personal sind entspannt und freundlich.
Ein toller Laden für ein gutes Gespräch mit dem besten Kumpel oder der besten Freundin bei einem guten Glas Single Malt.
Auch wenn die Restaurants und Cafés ausschlaggebend sind für den Rufs Katendrechts als In-Viertel und die meisten Besucher anziehen, gibt es auch einige andere sehenswerte Orte in der Nachbarschaft zu besichtigen.
Dutch Pinball Museum
Mal ganz ehrlich, wer wird bei dem Anblick eines Flippers nicht schwach?! Es bringt einfach zu viel Spaß, die kleinen Stahlbälle im Spiel zu halten, Monstern, Zombies oder Aliens den Garaus zu machen und dabei jede Menge geräuschvollen Blitzlichtapplaus und Punkte zu kassieren.
Nun, in Katendrecht befindet sich der Flipper-Himmel!
Etwa 70 Automaten mit Modellen von 1900 bis heute beherbergt das Dutch Pinball Museum. Spaß pur für Jung und Alt!
Es gibt 90-Minutentickets, 180-Minutentickets oder Tagestickets. Geheimtipp!
Die Rotterdam ist ein in den 1950er Jahren gebautes ehemaliges Passagierschiff, das von der „Holland-Amerika-Lijn“ als Linienschiff zwischen Rotterdam und New York City eingesetzt wurde, dann einige Jahre als Kreuzfahrtschiff fungierte und schließlich über mehrere Umwege den Weg zurück nach Rotterdam fand. Heute liegt die Rotterdam fest vor Anker und dient als Museum, Hotel und Veranstaltungszentrum.
Wenn du schon immer mal wissen wolltest, wie ein in den 1950er Jahren gebautes Riesenschiff von innen aussieht oder gar in einer der herrlich kitschig-nostalgischen Kabinen übernachten möchtest, kannst du dir hier eine buchen!
Übrigens war der Hauptsitz der „Holland-Amerika-Lijn“ das heutige „Hotel New York“ im benachbarten Kop von Zuid-Viertel, welches du von der Terrasse der Fenix Food Factory aus sehen kannst.
Wenn dein Rotterdam-Besuch zufällig oder geplant auf den September fällt, bietet das Festival „De Nacht van de Kaap“ eine Gelegenheit, Katendrecht von seiner wilden Seite kennen zu lernen.
Viele BesucherInnen kommen als Matrose oder Piratin verkleidet und feiern die ganze Nacht zu zahllosen Live Bands.
Katendrecht ist ein spannendes Viertel, das es wert ist, in Ruhe erkundet zu werden.
Hier kommen Foodies und Genussmenschen wie Stadtentwicklungsinteressierte gleichermaßen voll auf ihre Kosten, da Katendrecht sowohl gemütliche Cafés und Restaurants als auch einen interessanten Einblick in die Rotterdamer Stadtentwicklung zu bieten hat.
Es ist ein Viertel, das sich im Wandel befindet und dir bei einem Rundgang mit offenen Sinnen recht schnell die Potenziale, aber auch die möglichen Fallstricke für seine weitere Entwicklung aufzeigt.
In vielerlei Hinsicht hat mich Katendrecht an den Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg erinnert. Besonders das Reiherstiegviertel in Wilhelmsburg weist nicht nur architektonische Ähnlichkeit mit Katendrecht auf – Die sozialräumliche Zusammensetzung mit all ihren Vor- und Nachteilen, die Nähe zum Hafen mit entsprechender Atmosphäre und Industrieromantik, die überall spürbare Nähe zum Wasser, der omnipräsente Klang der Möwen. Es tun sich viele Parallelen zwischen Wilhelmsburg und Katendrecht auf.
Auch der Drahtseilakt, das Interesse der Bewohner an niedrigen Mieten bei gleichzeitiger Schaffung von mehr Wohn- und Lebensqualität mit dem Interesse der Immobilienbesitzer an steigenden Einnahmen ihrer jahrelang unter Wert darbenden Geldanlagen ist hier wie dort von aktueller Brisanz.
Vor allem aber ist es die so schwer zu beschreibende Atmosphäre eines Viertels im Umbruch und Aufbruch in eine ungewisse Zukunft, die den Vergleich der beiden Hafenviertel Wilhelmsburg und Katendrecht aufdrängt und die Katendrecht für mich zu einer der Entdeckungen der letzten Jahre gemacht hat.
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Inhaltsverzeichnis
Vom Rotlicht- zum Genussviertel mit Biss
Die kleine Halbinsel Katendrecht im Herzen Rotterdams kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Vom international bekannten Rotlicht- und Amüsierviertel im Zuge von Strukturwandel in Hafen und Schifffahrt zum „Problemviertel“ verkommen, entwickelt sich „De Kaap“, wie die Einwohner Rotterdams das Viertel liebevoll nennen, zunehmend zu einem der spannendsten Quartiere der Hafenstadt.
Willkommen auf „De Kaap“!
Sanft schunkeln die Taxiboote in den kleinen Wellen des Rijnhaven. Das Mondlicht entlockt dem Wasser Millionen funkelner Diamanten und am Ufer gegenüber erzählt die Fassade des „Hotel New York“ Geschichten längst vergangender Zeiten.
So eine kitschig-schöne Stimmung Stimmung kannst du auf der Außenterrasse von der „Fenix Food Factory“ in Katendrecht potenziell allabendlich erleben.
Die „Fenix Food Factory“ war 2014 unter den ersten neuen Unternehmen, die sich in Katendrecht angesiedelt haben und gehörte damit zu den Vorreitern einer Entwicklung, die das in der öffentlichen Berichterstattung vormals nur mit negativen Seiten assoziierte Quartier zu einem „Paradies für Feinschmecker“ werden ließ.
Und tatsächlich ist die Fülle und Vielfalt an kulinarischen Highlights auf der kleinen Halbinsel beeindruckend. Rund um den triangulären Platz „Deliplein“ haben sich hervorragende Restaurants, liebevoll geführte Cafés und spannende kleine Läden, Theater, Museen sowie eine Zirkusschule angesiedelt.
Allerdings ist das Viertel im Stadtteil Feijenoord weit davon entfernt, zur Spielwiese von Immobilienspekulanten und künstlerisch affinem Establishment zu verkommen. Nur einen Häuserblock vom Deliplein sind die rauen Kanten von Katendrecht allgegenwärtig: Müll weht durch die Straßen, viele Häuser machen einen verwahrlosten Eindruck und auch vielen der 4000 Bewohnern sieht man an, dass das Leben nicht immer nur nett zu ihnen war.
Aber auch sie profitieren von der Aufwertung ihres Viertels. Katendrecht und auch die Probleme seiner Bewohner sind wieder stärker in die öffentliche Wahrnehmung gerückt und es wurden und werden viele Anstrengungen unternommen, die Lebensqualität der Bewohner zu erhöhen. Parkanlagen wurden neu gestaltet, Häuser werden verstärkt renoviert und eine Reihe wichtiger infrastruktureller Verbesserungen durchgeführt. So wurde beispielsweise eine neue Fussgängerbrücke gebaut, die das Viertel mit dem benachbarten Viertel Kop van Zuid verbindet. Auch die Betreiber der kreativ-kulinarischen Geschäfte und Einrichtungen sehen sich als Bestandteil des Viertels und setzen sich entsprechend für verbesserte Wohn- und Lebensbedingungen in Katendrecht ein.
Allerdings ist es nicht immer einfach, die Interessen aller Bewohner unter einen Hut zu bringen, denn die Einwohnerschaft spiegelt die bunte und bewegte Geschichte des Viertels wider.
Katendrecht im Wandel der Zeit
Ursprünglich war Katendrecht ein kleines, beschauliches Dorf in schönster Flusslage. Viele der wohlhabenden Bürger Rotterdams hatten hier ein Wochenendhaus, genossen an den freien Tagen die Idylle und die Nähe zum Wasser.
1895 wurde Katendrecht Rotterdam eingemeindet und zum Hafengebiet deklariert. Zu dieser Zeit wurde der Rotterdamer Hafen beständig ausgebaut und besonders die Fertigstellung des „Maashavens“ im Jahre 1905 wandelte das Viertel schon bald in ein typisches Hafenviertel um.
Amüsierlokale und Seemansspelunken entstanden, Bordelle, leichte Mädchen und Matrosen in Feierlaune prägten das Stadtbild. Das erste Tätowierstudio der Niederlande wurde hier eröffnet und befindet sich noch heute in Katendrecht.
Bei allen Problemen, die ein Rotlichtviertel so mit sich bringt, war Katendrecht insgesamt ein florierendes und wohlhabendes Viertel.
Dies änderte sich rapide nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Rotterdamer Hafen beständig Richtung Nordsee wanderte und auch die anlegenden Schiffe durch die damals neue Containerwirtschaft immer kürzere Liegezeiten hatten. Katendrecht wandelte sich zunehmend in ein Viertel für sozioökonomisch benachteiligte Menschen mitsamt den negativen Auswirkungen auf das Zusammenleben.
Bis zur Jahrtausendwende galten Katendrecht und angrenzende Viertel wie das inzwischen komplett gentrifizierte Kop van Zuid als die problematischsten Viertel Rotterdams.
Allerdings wurden bereits seit den 1970er Jahren seitens der Stadt Überlegungen angestellt, wie man die Viertel südlich der Nieuwe Maas aufwerten und das Gebiet insgesamt besser in die Stadt integrieren könne. Verschiedene Projekte wurden begonnen, aber aus unterschiedlichen Gründen nie fertiggestellt.
Erst Ende der 1980er Jahre wurde ein neuer Vorstoß gewagt, der, co-finanziert von der Stadt Rotterdam und der niederländischen Regierung, vor allem die komplette Umgestaltung von Katendrechts Nachbarviertel „Kop van Zuid“ bis 2010 vorsah, aber auch strukturelle Verbesserungen für das benachbarte Kartendrecht erzielen sollte. Die 1996 eröffnete Erasmusbrücke ist eines der bekanntesten Ergebnisse der strukturellen Anbindung der Stadtteile südlich der Niuewe Maas an das Zentrum Rotterdams.
Allerdings bestanden über eine verbesserte infrastrukturelle Anbindung Katendrechts an das Zentrum der Stadt keine konkreten Pläne, wie der soziale Verfall des Viertels aufgehalten werden könne.
Dies änderte sich erst, als zwei junge und kreative Unternehmer der Stadt ihr Konzept der „Fenix Food Factory“ darlegten, die eine neue Nutzung der alten, heruntergekommenen Lagerhallen am Nordufer von Katendrecht vorsahen. Genau dort, wo die neu gebaute Fußgängerbrücke, die „Rijnhavenbrug“, Katendrecht mit dem benachbarten Kop van Zuid verbindet, sollte ein kooperativ genutzter Ort für lokale Kleinunternehmen entstehen, an dem zusammen produziert, gegessen und getrunken wird.
2014 eröffnete die „Fenix Food Factory“ und hat sich seitdem zum wichtigen Besuchermagneten entwickelt. Auch wurden andere Unternehmer durch das erfolgreiche Beispiel auf das Potenzial des Viertels aufmerksam und trieben die Entwicklung Katendrechts zum „Paradies für Feinschmecker“ weiter voran.
Eine Entwicklung, die immer noch im vollen Gange ist und deren Auswirkungen auf das Viertel bis dato als überwiegend positiv zu bewerten sind.
Kulinarische Highlights auf Katendrecht
Lass uns bei all der spannenden Geschichte Katendrechts nicht den genaueren Blick auf die kulinarischen Highlights des Viertels vergessen. Das wäre nicht nur schade, sondern auch ein großer Frevel! Ich war bei meinem Besuch fasziniert von den vielen gemütlichen und mit viel Liebe fürs Detail geführten Geschäften.
Da sich die meisten Cafés und Restaurants rund um den Platz „Deliplein“ angesiedelt haben, ist es nicht schwer, sich bei einem Rundgang einen Überblick zu verschaffen.
Als kleine Orientierung, hier meine Highlights:
Fenix Food Factory (Fenix I)
Die bereits weiter oben erwähnte Fenix Food Factory (inzwischen „Fenix I“) ist ein Zusammenschluss mehrerer verschiedener Läden, die zusammen eine alte Lagerhalle mit neuem Leben gefüllt haben.
Es gibt hier unter anderem einen Gemüsehändler, einen Bäcker, einen Buchladen, mehrere Food Stalls, eine Kafferösterei, den ersten Cider Shop der Niederlande sowie die hervorragende Craft-Beer-Brauerei „Kaapse Brouwers Rotterdam“ (siehe auch weiter unten!).
Oft werden auch Seminare zu verschiedenen Themen angeboten. Und die Terrasse mit Blick auf den Wilhelminapier und das Hotel New York ist bei gutem Wetter einfach unschlagbar.
UPDATE: Im Februar 2020 ist die Fenix Food Factory umgezogen. Sie befindet sich nun im Nachbargebäude unter dem Namen „Fenix I“.
Fenix Food Factory; Veerlaan 19D;
Kopi Soesoe
Das Kopi Soesoe ist eine einzigartige Mischung aus coolem Café, Bistro, Bar und Live Music Venue. Hier gibt es super Kaffee (auch eine indonesische Hausvariante!), Frühstück, abgefahrene Sandwiches (z.B. eins mit Erdnussbutter, Sambal, Ananas, Käse, Banane und Bohnensprossen), New York style Cheesecake sowie allerlei andere kulinarische Überraschungen.
Abends gibt es oft Konzerte in dem kleinen und familiären Kopi Soesoe sowie Spieleabende, Pubquiz-Abende oder andere Motto-Abende.
Die Musik kommt oft von Vinyl, was ich als Plattenliebhaber immer überaus sympathisch finde und es gibt ein paar gute Biere zur Auswahl. Geheimtipp!
Kopi Soesoe; Sumatraweg 15; +31 6 47006159
De Zeeuwse Meisjes
Direkt nebenan findest du das „De Zeeuwse Meisjes“. Es ist Café, Designgeschäft und Galerie in einem. Die beiden Gründerinnen kennen sich seit Kindertagen, wuchsen in der gleichen Straße auf und hatten die Idee für ihr Café während eines gemeinsamen Neuseeland-Trips.
Das „De Zeeuwse Meisjes“ ist ein sehr liebevoll gestalteter und geführter Ort, mit sehr viel Sinn fürs Detail. Die Atmosphäre ist gemütlich und entspannt. Ein guter Ort für einen Kaffee, ein Stück Kuchen und für alle FreundInnen von besonderen Accessoires auch ein guter Platz zum Shoppen besonderer Mitbringsel aus Rotterdam.
Sumatraweg 13
Kaapse Brouwers Rotterdam
Die Kaapse Brouwers Rotterdam gehört für jeden Bier-Fan zum Pflichtprogramm eines Rotterdam-Besuchs. Da ich noch nicht alle Brauereien der Stadt kenne, kann ich mich hier nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber – soviel kann ich sagen – ich wäre sehr verwundert, wenn ich eine bessere in Rotterdam fände.
Biere aus sage und schreibe 30 Zapfhähnen stehen zur Auswahl, darunter immer auch einige spannende nationale und internationale Gastbiere.
Ursprünglich wurden alle Biere direkt vor Ort auch gebraut. Mit wachsender Produktion werden die meisten der Biere mittlerweile in einer zweiten Brauerei gebraut. Die in kleinerer Auflage produzierten experimentelleren Biere entstehen jedoch weiterhin direkt vor Ort.
Die Kaapse-Brauer verstehen ihr Handwerk und legen zusätzlich eine große Portion Experimentierfreude an den Tag. Du findest hier neben eher klassischen Bierstilen wie English Bitter oder IPA auch solch spannende Kreationen wie White Wine Saisons, Kamillen-Pale-Ale sowie verschiedene Barley Wines und Barrel Aged Beers.
Ein weiteres, wie ich finde äußerst streitbares, Beispiel für die Experimentierfreude der Brauerei ist ihr Bakvis-Bier, ein Stout, das mit getrocknetem Fisch versetzt wurde.
Die Beratung ist freundlich und kompetent. Falls du gerne so viele verschiedene Biere wie möglich verkosten möchtest, bekommst du hier auch ein Tasting Set.
Direkt neben der Bar befindet sich der hauseigene Bottle Shop, in dem du dein Lieblingsbier sowie viele weitere niederländische wie internationale Biere direkt mit nach Hause nehmen kannst. Es gibt hier auch eine große Auswahl an De Molen-Bieren.
Kaapse Brouwers Rotterdam; Veerlaan 19-D; +31 10 218 0853
Café de Ouwehoer
Wenn dir der Sinn nach etwas mehr Klassik oder stärkeren Getränken steht, findest du auf der anderen Seite des „Deliplein“ das Café de Ouwehoer. Der Name bedeutet so viel wie „Die alte Dirne“ und spielt auf die Rotlichtvergangenheit von Katendrecht an.
In der schicken, klassisch eingerichteten Bar, findest du etwa 100 verschiedene Sorten Whisky und über 20 verschiedene Sorten Bier.
Die Musik orientiert sich in Richtung Rock ’n‘ Roll und das Publikum sowie das Personal sind entspannt und freundlich.
Ein toller Laden für ein gutes Gespräch mit dem besten Kumpel oder der besten Freundin bei einem guten Glas Single Malt.
Café de Ouwehoer; Delistraat 36C; +31 10 486 5253
Weitere sehenswerte Orte
Auch wenn die Restaurants und Cafés ausschlaggebend sind für den Rufs Katendrechts als In-Viertel und die meisten Besucher anziehen, gibt es auch einige andere sehenswerte Orte in der Nachbarschaft zu besichtigen.
Dutch Pinball Museum
Mal ganz ehrlich, wer wird bei dem Anblick eines Flippers nicht schwach?! Es bringt einfach zu viel Spaß, die kleinen Stahlbälle im Spiel zu halten, Monstern, Zombies oder Aliens den Garaus zu machen und dabei jede Menge geräuschvollen Blitzlichtapplaus und Punkte zu kassieren.
Nun, in Katendrecht befindet sich der Flipper-Himmel!
Etwa 70 Automaten mit Modellen von 1900 bis heute beherbergt das Dutch Pinball Museum. Spaß pur für Jung und Alt!
Es gibt 90-Minutentickets, 180-Minutentickets oder Tagestickets. Geheimtipp!
Dutch Pinball Museum; 19-K, Paul Nijghkade
Rotterdam (Schiff)
Die Rotterdam ist ein in den 1950er Jahren gebautes ehemaliges Passagierschiff, das von der „Holland-Amerika-Lijn“ als Linienschiff zwischen Rotterdam und New York City eingesetzt wurde, dann einige Jahre als Kreuzfahrtschiff fungierte und schließlich über mehrere Umwege den Weg zurück nach Rotterdam fand. Heute liegt die Rotterdam fest vor Anker und dient als Museum, Hotel und Veranstaltungszentrum.
Wenn du schon immer mal wissen wolltest, wie ein in den 1950er Jahren gebautes Riesenschiff von innen aussieht oder gar in einer der herrlich kitschig-nostalgischen Kabinen übernachten möchtest, kannst du dir hier eine buchen!
Übrigens war der Hauptsitz der „Holland-Amerika-Lijn“ das heutige „Hotel New York“ im benachbarten Kop von Zuid-Viertel, welches du von der Terrasse der Fenix Food Factory aus sehen kannst.
Rotterdam; 3e Katendrechtse Hoofd 25
Tattoo Bob
Für alle Tattoo Fans unter euch: Das älteste Tätowierstudio der Niederlande befindet sich ebenfalls in Katendrecht.
Delistraat 4-10
Festival „De Nacht van de Kaap“
Wenn dein Rotterdam-Besuch zufällig oder geplant auf den September fällt, bietet das Festival „De Nacht van de Kaap“ eine Gelegenheit, Katendrecht von seiner wilden Seite kennen zu lernen.
Viele BesucherInnen kommen als Matrose oder Piratin verkleidet und feiern die ganze Nacht zu zahllosen Live Bands.
De Nacht van de Kaap
Fazit
Katendrecht ist ein spannendes Viertel, das es wert ist, in Ruhe erkundet zu werden.
Hier kommen Foodies und Genussmenschen wie Stadtentwicklungsinteressierte gleichermaßen voll auf ihre Kosten, da Katendrecht sowohl gemütliche Cafés und Restaurants als auch einen interessanten Einblick in die Rotterdamer Stadtentwicklung zu bieten hat.
Es ist ein Viertel, das sich im Wandel befindet und dir bei einem Rundgang mit offenen Sinnen recht schnell die Potenziale, aber auch die möglichen Fallstricke für seine weitere Entwicklung aufzeigt.
In vielerlei Hinsicht hat mich Katendrecht an den Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg erinnert. Besonders das Reiherstiegviertel in Wilhelmsburg weist nicht nur architektonische Ähnlichkeit mit Katendrecht auf – Die sozialräumliche Zusammensetzung mit all ihren Vor- und Nachteilen, die Nähe zum Hafen mit entsprechender Atmosphäre und Industrieromantik, die überall spürbare Nähe zum Wasser, der omnipräsente Klang der Möwen. Es tun sich viele Parallelen zwischen Wilhelmsburg und Katendrecht auf.
Auch der Drahtseilakt, das Interesse der Bewohner an niedrigen Mieten bei gleichzeitiger Schaffung von mehr Wohn- und Lebensqualität mit dem Interesse der Immobilienbesitzer an steigenden Einnahmen ihrer jahrelang unter Wert darbenden Geldanlagen ist hier wie dort von aktueller Brisanz.
Vor allem aber ist es die so schwer zu beschreibende Atmosphäre eines Viertels im Umbruch und Aufbruch in eine ungewisse Zukunft, die den Vergleich der beiden Hafenviertel Wilhelmsburg und Katendrecht aufdrängt und die Katendrecht für mich zu einer der Entdeckungen der letzten Jahre gemacht hat.