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Inhaltsverzeichnis
Craft Beer in Südtirol
In der von Weinkultur geprägten Provinz Südtirol spielte Bier als Genussprodukt lange Zeit keine Rolle. Seit einigen Jahren setzen lokale Bierenthusiasten alles daran, dies zu ändern.
Und ihre Bemühungen zeigen Erfolg: Die Biervielfalt nimmt beständig zu und verbleibt dabei auf einem hohen Niveau. Südtirol avanciert zum echten Geheimtipp für Bierliebhaber.
Dieses Bier ist wie Weihnachten und Geburtstag zusammen für die Geschmacksknospen! Whisky- und Fass-Aromen, Vanille, Toffee, reife Früchte, dazu eine leichte Sherry-Note, gepaart mit einem Alkoholgehalt von etwa 11 Prozent, der ohne jede Schärfe die Komplexität der Aromen trägt – das „Old Hand“ der südtiroler Batzen Bräu-Brauerei ist ein Bier, das in Ruhe und vor allem bewusst genossen werden will.
Zwei Jahre lang reifte der Barley Wine. Zunächst ein Jahr in Stahlfässern, dann ein weiteres Jahr in frisch entleerten Whiskyfässern der bayrischen Slyrs Destillerie.
Der Aufwand hat sich gelohnt, das „Old Hand“ ist unfassbar ausgewogen. Kein Wunder, dass diese Bierspezialität aus Südtirol 2016 auf dem „Birra dell´Anno“, dem wichtigsten italienischen Bierwettbewerb, mit Bronze ausgezeichnet wurde.
Berge, Skifahren und Wein
Die meisten Menschen denken bei Südtirol an Alpen und Dolomiten, an Skifahren, Wanderungen und Bergsteigen – und an Wein. Wein ist das Genussgetränk der Region und wird in der Gastronomie vor- zu- und nach jeder Mahlzeit gereicht.
Die Auswahl lokaler Weine ist vielfältig, die Qualität spitze. Kein Wunder, wird in der Region doch seit mehr als 3000 Jahren Weinanbau betrieben. Wein gilt als wichtiges Genussprodukt und Kulturgut Südtirols.
Für Bier hingegen war lange kein Platz im Genussportfolio der Region. Obwohl in der Region seit über 1000 Jahren Bier gebraut wird, war sie bis vor kurzem nicht für ihr Bier bekannt.
Bier in Südtirol
Das ändert sich gerade rasant. Südtirol avanciert zum Geheimtipp für Bierliebhaber.
Was war da los? Wie kann es angehen, dass sich trotz mehr als 1000-jähriger Brautradition keine bleibende regionale Bierkultur entwickelte?
Zur Erklärung hilft ein kurzer Blick auf die Geschichte Südtirols: Wir schreiben das Jahr 993. Wie im Mittelalter üblich, müssen die Menschen auch hier Abgaben an den Klerus leisten, die von den Vertretern der Kirche akribisch dokumentiert werden.
Dadurch können wir heute nachvollziehen, dass ein damaliger Hof im Pustertal im besagten Jahr 993 „ 20 situle cervesie“, also 20 Eimer Bier, für das Wohl des Klerus abdrücken musste. Dies ist die erste gesicherte Bestätigung der Bierherstellung in Südtirol.
Spätestens im 16. Jahrhundert wird Bier in der Region zum Volksgetränk, bleibt dabei jedoch stets der kleine Bruder seines größten Konkurrenten – dem Wein.
Aber auch wenn das Bier dem Wein als Genussprodukt keine ernsthafte Konkurrenz machen kann, geht es doch stetig bergauf mit dem Brauereiwesen in Südtirol, bis durch die technische – und infolgedessen auch touristische – Erschließung des Gebietes Ende des 19. Jahrhunderts 27 lokale Brauereien die Region und ihre Besucher mit Bier versorgen. Beste Voraussetzungen also für eine sich entwickelnde Bierkultur.
Aber dann macht Krieg der Entwicklung ein Ende. Mit Ausnahme der Forst-Brauerei überlebt keine der Brauereien die abgeschnittene Lage Südtirols und die damit einhergehende Rohstoffverknappung während des Ersten Weltkrieges.
1920 wird das vormalig zu Österreich gehörende Südtirol endgültig Italien angeschlossen; einer Nation, die Bier nicht als eigenes Kulturgut begreift und zudem lange aus nationalistischen Gründen kein allzu großes Interesse daran zeigt, die südtiroler Brauereien wiederzubeleben.
Somit verschwindet das Brauwesen in seiner Bedeutung als regionales kulturelles Erbe allmählich beinahe gänzlich aus dem Bewusstsein der Region. Eine Entwicklung, die erst seit knapp zehn Jahren durch eine Reihe kleiner, regionaler Wirtshausbrauereien wieder ihre Richtung ändert.
Neue Biervielfalt in Südtirol
Christian Pichler, der in der Provinzhauptstadt Bozen bei der Batzen Bräu-Brauerei als Braumeister tätig ist, fasst es so zusammen: „Die Biervielfalt ging hier nach dem Krieg etwas verloren und war bis vor wenigen Jahren sehr begrenzt. Noch immer wird Südtirol vor allem als Weinland gesehen und wahrgenommen. Dies stimmt aber nicht so ganz. Natürlich gibt es hier super Weine, aber auch Bier hat in Südtirol eine lange Geschichte.“
Seit der Gründung der Wirtshausbrauerei 2012 ist der gebürtige Südtiroler Pichler bei Batzen Bräu dabei. Die kleine Brauerei mit ihren etwa 4000hl Jahresausstoß steht stellvertretend für den Aufschwung, den Südtirol in den letzten Jahren in Sachen Biervielfalt genommen hat.
Bis zu 25 verschiedene Sorten Bier brauen Pichler und seinem Team pro Jahr, vom klassischen Pilsener und Weizen bis hin zum „Kranewitten“, einem mit lokalen Zutaten gebrauten, aufwendigen Südtiroler Saison.
Ihre Kreationen gewinnen auf renommierten Wettbewerben wie dem „European Beer Star“ regelmäßig Preise und ziehen damit eine stetig wachsende internationale Aufmerksamkeit der Bierwelt auf die Region in den Alpen.
Batzen Bräu Gründer Robert Widmann ist der personifizierte Motor des Wandels Südtirols hin zur Geheimtipp-Bierdestination. Bereits seit Ende der 1980er Jahre als Gastwirt tätig und über Reisen zum Bierliebhaber geworden, geht Widmann mit Gründung der Batzen Bräu-Brauerei und einer Spezialisierung auf Bierspezialitäten 2012 neue Wege in Südtirol.
Er wird Vorsitzender der „Vereinigung Südtiroler Wirtshausbrauereien“ und initiiert als solcher in Zusammenarbeit mit der Südtiroler Weinakademie und DOEMENS die Ausbildung zum „Diplom Bier-Expert“, einer Art Zwischenstufe zum Biersommelier, die Fachpersonal und Interessierten Bier als Kulturgut näherbringen soll.
Tipp: In Südtirol erfreut sich der ansonsten in Europa leider in Vergessenheit geratene Bierstil „Vienna-Lager“ großer Beliebtheit und wird von fast allen Brauereien der Region gebraut. Die verschiedenen Ergebnisse vor Ort zu verkosten und zu vergleichen, ist ein besonderes und spannendes Erlebnis, dass ich dir nur empfehlen kann.
2015 ist er gemeinsam mit Pichler Ideengeber für das „Beer Craft“, dem ersten Craftbier-Festival in Südtirol, das seitdem jährlich im Frühjahr stattfindet und neben lokalen Bieren und Ausstellern auch wechselnde nationale und internationale Brauereien vorstellt.
Obendrein wird Widmann 2017 „Italienischer Biersommeliermeister“.
Doch wo andere nach so viel getaner Arbeit in Ruhm und Anerkennung vor sich hin dösen würden, sieht Widmann lediglich ein wichtiges Etappenziel auf dem Weg zum großen, eigentlichen Ziel erreicht: Südtirol wieder für Bier zu begeistern.
Bierlandschaft in Südtirol
Mittlerweile gibt es zwölf Wirthausbrauereien in Südtirol, die stark miteinander vernetzt sind und beständig die Biervielfalt in der Region ausbauen.
Dass die Brauereien sich dabei nicht als Konkurrenten wahrnehmen, sondern in einem partnerschaftlichen Verhältnis zueinander stehen, erklärt sich nicht allein durch die unterschiedlichen Schwerpunkte der einzelnen Brauereien.
Bedeutender hierfür sind wohl die allen gemeinsamen Ziele, an die alten Biertraditionen Südtirols anzuknüpfen, diese wieder auferstehen zu lassen und um neue Kreationen zu erweitern und damit schlussendlich Bier im Allgemeinen sowie Bier aus und in Südtirol im Besonderen zu dem Stellenwert als Kulturgut und Genussmittel zu verhelfen, den es aufgrund seiner Geschichte und Geschmacksvielfalt verdient.
Doch dieses Unterfangen gestaltete sich insbesondere in den Anfangszeiten als gar nicht so einfach in einer Region, die infolge des Niedergang der südtiroler Brauereien nach dem Ende des Ersten Weltkrieges von allen, einschließlich den Südtirolern selbst, ausschließlich als Weinregion wahrgenommen wird und in der lange Zeit eine einzige Brauerei das Biergeschehen dominiert.
„Für den typischen südtiroler Biertrinker hatte ein Bier bis vor kurzem ein „Helles“ zu sein“, so Pichler. Es war nicht einfach, den „typischen südtiroler Biertrinker“ und die Feinschmecker der Region gleichermaßen von den neuen Bierspezialitäten zu überzeugen.
Beiden Gruppen standen viele alte Gewohnheiten und Vorurteile im Wege. „Das ändert sich zum Glück gerade, vor allem die jüngere Generation ist Craft Beer gegenüber sehr aufgeschlossen“, freut sich Pichler.
Auch bei den Getränkehändlern besteht zunächst eine große Skepsis gegenüber den neuen, „wilden“ Bierstilen der kleinen Brauereien.
„Wer bitteschön wird das denn trinken?“, fragt sich die Branche.
Diese Haltung hat sich nach der umfangreichen Überzeugungsarbeit der Brauer inzwischen grundlegend geändert: „Heute gibt es nur noch sehr wenige Händler, die nicht von der neuen südtiroler Bierkultur überzeugt sind“, sagt Pichler.
Widmann sieht es genauso: „Alle Beteiligten der Branche erkennen langsam, dass ein Miteinander wichtig ist und wir nur so die Bierbegeisterung insgesamt auf ein höheres Niveau bringen können.“
Neues Trinkverhalten
Die Bemühungen der Branche zeigen Wirkung. So passt sich das Trinkverhalten vieler Südtiroler bei Bier bereits an die neue Biervielfalt und das Credo, Bier genau wie Wein als hochwertiges Genussmittel wahrzunehmen, an.
Und auch in der gehobenen Gastronomie sowie den Hotels der Region finden sich inzwischen zumindest die nicht ganz so exotischen Biersorten der Craft-Brauer.
„Man muss die Leute hier langsam an die neuen Biere heranführen“, betont auch Maximilian Ried. Der gebürtige Bayer, der seit 2015 als Braumeister bei der kleinen, aber sehr erfolgreichen Brunecker Wirthausbrauerei „Rienzbräu“ tätig ist, hat unter anderem auch deshalb zunächst ausschließlich nach dem „Deutschen Reinheitsgebot“ gebraut.
Im Herbst letzten Jahres war die Zeit dann reif, es gab ein Kürbis-Ale am Hahn von Rienzbräu. Das Bier kam bei der überwiegenden Mehrheit der Kunden sehr gut an.
Allerdings gab es auch Beschwerden. „Das war aber zu erwarten“, sagt Ried, „so ein Bier ist nichts für jeden“.
Als nächtes geht nun als nächstes sein mit regionalem Hanf versetztes Bier an den Start, später soll ein Kastanienbier folgen. „Ich glaube, unsere Kunden sind nun bereit für mehr Vielfalt“, sagt Ried mit einem Augenzwinkern.
Was den Craft-Brauern Südtirols in Sachen Erfolg sicherlich in die Hände spielt, ist, dass sie alle auch die „klassischen“ Bierstile wie „Helles“ oder „Weißbier“ anbieten.
Um sich in diesen Segmenten von der Masse der Biere abzugrenzen, die bereits zuvor in den Wirtshäusern, Hotels und Supermärkten Südtirols erhältlich waren, bedarf es einer stabilen, hohen Qualität. Und die haben die Wirtshausbrauereien Südtirols geliefert.
Wer sein Handwerk so gut beherrscht, dem fällt es auch leichter, ausgefallenere Biere mit Hand und Fuß zu brauen, die auf dem gewohnten Geschmack der heimischen Biertrinker aufbauen und diesen dann sukzessive ausbauen.
Braumeister Pichler erklärt es so: „Da ich aus der Region stamme, habe ich einen Geschmack, der dem vieler Südtiroler ähnlich ist. Das ist ein großer Vorteil für eine kleine Brauerei, die ihr Bier vorwiegend regional verkauft.“
Geheimtipp für Bierliebhaber
Ganz nebenbei profitiert von dem Umdenken der Südtiroler in Sachen Bier auch die Region selbst: Je mehr sich Südtirol für Bier interessiert, desto mehr Bierfans interessieren sich für Südtirol.
Von einem Boom des Biertourismus zu sprechen, wäre allerdings noch zu hoch gegriffen.
Aber langsam und stetig steigt der Bekanntheitsgrad Südtirols in Bierkreisen und parallel dazu auch die Anzahl der Besucher, die die südtiroler Biervielfalt kennenlernen möchten.
„Wir merken, dass Bier sich einer wachsenden Beliebtheit erfreut und immer größere Aufmerksamkeit auf sich zieht“, sagt Martina Berger von „IDM Südtirol – Alto Adige“ (IDM), dem Verband der Tourismusorganisationen der Provinz.
Infolgedessen hat die IDM nicht nur das regionale Qualitätssigel „Qualität Südtirol“ auf Brauereien, die ihr Bier hauptsächlich mit südtiroler Zutaten brauen, ausgeweitet, sondern unterstützt auch das Bierfestival „Beer Craft“ und hat die Einrichtung von sogenannten „Bierradtouren“, die den Besuch der Wirtshausbrauereien mit Fahrradrouten durch die Region kombinieren, gefördert.
Schulterschluss mit südtiroler Wein
Regionalität ist wieder in, auch in Sachen Bier.
„Unser Kranewitten und die Gose sind mit 100 Prozent südtiroler Getreide, wie Gerste, Weizen oder Dinkel, gebraut, worauf wir sehr stolz sind“, erklärt Batzen Bräu-Brauchef Pichler, dessen Brauerei zu den bisher zehn Brauereien Südtirols gehört, die das „Qualität Südtirol“-Siegel verwenden und damit für ihre Brauerei werben dürfen.
Bier als Genussprodukt ist dank der unermüdlichen Arbeit einiger lokaler Pioniere wieder auf Erfolgskurs in Südtirol.
Ein Kurs, von dem nicht nur die Brauer und Händler profitieren, sondern die gesamte Region und vor allem die Bierliebhaber, die nun zunehmend auch aus dem Ausland kommen, um die besonderen südtiroler Biere zu verkosten.
Und auch den Weinliebhabern haben die Craft-Brauer Südtirols inzwischen die Hand ausgestreckt: Die Batzen Bräu-Brauerei hat ein „Italien Grape Ale“ (IGA) eingebraut, für das südtiroler Gewürztraminer-Trauben mit südtiroler Malz zu einem „Weinbier“ vermengt wurden.
Dieses wurde im Februar 2018 auf dem „Birra dell‘Anno“ unter die drei besten Vertreter dieser Stilrichtung gewählt. Warum soll es Entweder-oder sein, Wein oder Bier, wenn auch beides geht?!
Gleichwertig nebeneinander und manchmal sogar zusammen. Genug Platz für Gipfelstürmer ist in Südtirol allemal vorhanden.
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Craft Beer in Südtirol
In der von Weinkultur geprägten Provinz Südtirol spielte Bier als Genussprodukt lange Zeit keine Rolle. Seit einigen Jahren setzen lokale Bierenthusiasten alles daran, dies zu ändern.
Und ihre Bemühungen zeigen Erfolg: Die Biervielfalt nimmt beständig zu und verbleibt dabei auf einem hohen Niveau. Südtirol avanciert zum echten Geheimtipp für Bierliebhaber.
Dieses Bier ist wie Weihnachten und Geburtstag zusammen für die Geschmacksknospen! Whisky- und Fass-Aromen, Vanille, Toffee, reife Früchte, dazu eine leichte Sherry-Note, gepaart mit einem Alkoholgehalt von etwa 11 Prozent, der ohne jede Schärfe die Komplexität der Aromen trägt – das „Old Hand“ der südtiroler Batzen Bräu-Brauerei ist ein Bier, das in Ruhe und vor allem bewusst genossen werden will.
Zwei Jahre lang reifte der Barley Wine. Zunächst ein Jahr in Stahlfässern, dann ein weiteres Jahr in frisch entleerten Whiskyfässern der bayrischen Slyrs Destillerie.
Der Aufwand hat sich gelohnt, das „Old Hand“ ist unfassbar ausgewogen. Kein Wunder, dass diese Bierspezialität aus Südtirol 2016 auf dem „Birra dell´Anno“, dem wichtigsten italienischen Bierwettbewerb, mit Bronze ausgezeichnet wurde.
Berge, Skifahren und Wein
Die meisten Menschen denken bei Südtirol an Alpen und Dolomiten, an Skifahren, Wanderungen und Bergsteigen – und an Wein. Wein ist das Genussgetränk der Region und wird in der Gastronomie vor- zu- und nach jeder Mahlzeit gereicht.
Die Auswahl lokaler Weine ist vielfältig, die Qualität spitze. Kein Wunder, wird in der Region doch seit mehr als 3000 Jahren Weinanbau betrieben. Wein gilt als wichtiges Genussprodukt und Kulturgut Südtirols.
Für Bier hingegen war lange kein Platz im Genussportfolio der Region. Obwohl in der Region seit über 1000 Jahren Bier gebraut wird, war sie bis vor kurzem nicht für ihr Bier bekannt.
Bier in Südtirol
Das ändert sich gerade rasant. Südtirol avanciert zum Geheimtipp für Bierliebhaber.
Was war da los? Wie kann es angehen, dass sich trotz mehr als 1000-jähriger Brautradition keine bleibende regionale Bierkultur entwickelte?
Zur Erklärung hilft ein kurzer Blick auf die Geschichte Südtirols: Wir schreiben das Jahr 993. Wie im Mittelalter üblich, müssen die Menschen auch hier Abgaben an den Klerus leisten, die von den Vertretern der Kirche akribisch dokumentiert werden.
Dadurch können wir heute nachvollziehen, dass ein damaliger Hof im Pustertal im besagten Jahr 993 „ 20 situle cervesie“, also 20 Eimer Bier, für das Wohl des Klerus abdrücken musste. Dies ist die erste gesicherte Bestätigung der Bierherstellung in Südtirol.
Spätestens im 16. Jahrhundert wird Bier in der Region zum Volksgetränk, bleibt dabei jedoch stets der kleine Bruder seines größten Konkurrenten – dem Wein.
Aber auch wenn das Bier dem Wein als Genussprodukt keine ernsthafte Konkurrenz machen kann, geht es doch stetig bergauf mit dem Brauereiwesen in Südtirol, bis durch die technische – und infolgedessen auch touristische – Erschließung des Gebietes Ende des 19. Jahrhunderts 27 lokale Brauereien die Region und ihre Besucher mit Bier versorgen. Beste Voraussetzungen also für eine sich entwickelnde Bierkultur.
Aber dann macht Krieg der Entwicklung ein Ende. Mit Ausnahme der Forst-Brauerei überlebt keine der Brauereien die abgeschnittene Lage Südtirols und die damit einhergehende Rohstoffverknappung während des Ersten Weltkrieges.
1920 wird das vormalig zu Österreich gehörende Südtirol endgültig Italien angeschlossen; einer Nation, die Bier nicht als eigenes Kulturgut begreift und zudem lange aus nationalistischen Gründen kein allzu großes Interesse daran zeigt, die südtiroler Brauereien wiederzubeleben.
Somit verschwindet das Brauwesen in seiner Bedeutung als regionales kulturelles Erbe allmählich beinahe gänzlich aus dem Bewusstsein der Region. Eine Entwicklung, die erst seit knapp zehn Jahren durch eine Reihe kleiner, regionaler Wirtshausbrauereien wieder ihre Richtung ändert.
Neue Biervielfalt in Südtirol
Christian Pichler, der in der Provinzhauptstadt Bozen bei der Batzen Bräu-Brauerei als Braumeister tätig ist, fasst es so zusammen: „Die Biervielfalt ging hier nach dem Krieg etwas verloren und war bis vor wenigen Jahren sehr begrenzt. Noch immer wird Südtirol vor allem als Weinland gesehen und wahrgenommen. Dies stimmt aber nicht so ganz. Natürlich gibt es hier super Weine, aber auch Bier hat in Südtirol eine lange Geschichte.“
Lies hier das vollständige Interview mit Christian Pichler zur Bierkultur in Südtirol!
Seit der Gründung der Wirtshausbrauerei 2012 ist der gebürtige Südtiroler Pichler bei Batzen Bräu dabei. Die kleine Brauerei mit ihren etwa 4000hl Jahresausstoß steht stellvertretend für den Aufschwung, den Südtirol in den letzten Jahren in Sachen Biervielfalt genommen hat.
Bis zu 25 verschiedene Sorten Bier brauen Pichler und seinem Team pro Jahr, vom klassischen Pilsener und Weizen bis hin zum „Kranewitten“, einem mit lokalen Zutaten gebrauten, aufwendigen Südtiroler Saison.
Ihre Kreationen gewinnen auf renommierten Wettbewerben wie dem „European Beer Star“ regelmäßig Preise und ziehen damit eine stetig wachsende internationale Aufmerksamkeit der Bierwelt auf die Region in den Alpen.
Batzen Bräu Gründer Robert Widmann ist der personifizierte Motor des Wandels Südtirols hin zur Geheimtipp-Bierdestination. Bereits seit Ende der 1980er Jahre als Gastwirt tätig und über Reisen zum Bierliebhaber geworden, geht Widmann mit Gründung der Batzen Bräu-Brauerei und einer Spezialisierung auf Bierspezialitäten 2012 neue Wege in Südtirol.
Er wird Vorsitzender der „Vereinigung Südtiroler Wirtshausbrauereien“ und initiiert als solcher in Zusammenarbeit mit der Südtiroler Weinakademie und DOEMENS die Ausbildung zum „Diplom Bier-Expert“, einer Art Zwischenstufe zum Biersommelier, die Fachpersonal und Interessierten Bier als Kulturgut näherbringen soll.
2015 ist er gemeinsam mit Pichler Ideengeber für das „Beer Craft“, dem ersten Craftbier-Festival in Südtirol, das seitdem jährlich im Frühjahr stattfindet und neben lokalen Bieren und Ausstellern auch wechselnde nationale und internationale Brauereien vorstellt.
Obendrein wird Widmann 2017 „Italienischer Biersommeliermeister“.
Doch wo andere nach so viel getaner Arbeit in Ruhm und Anerkennung vor sich hin dösen würden, sieht Widmann lediglich ein wichtiges Etappenziel auf dem Weg zum großen, eigentlichen Ziel erreicht: Südtirol wieder für Bier zu begeistern.
Bierlandschaft in Südtirol
Mittlerweile gibt es zwölf Wirthausbrauereien in Südtirol, die stark miteinander vernetzt sind und beständig die Biervielfalt in der Region ausbauen.
Dass die Brauereien sich dabei nicht als Konkurrenten wahrnehmen, sondern in einem partnerschaftlichen Verhältnis zueinander stehen, erklärt sich nicht allein durch die unterschiedlichen Schwerpunkte der einzelnen Brauereien.
Bedeutender hierfür sind wohl die allen gemeinsamen Ziele, an die alten Biertraditionen Südtirols anzuknüpfen, diese wieder auferstehen zu lassen und um neue Kreationen zu erweitern und damit schlussendlich Bier im Allgemeinen sowie Bier aus und in Südtirol im Besonderen zu dem Stellenwert als Kulturgut und Genussmittel zu verhelfen, den es aufgrund seiner Geschichte und Geschmacksvielfalt verdient.
Doch dieses Unterfangen gestaltete sich insbesondere in den Anfangszeiten als gar nicht so einfach in einer Region, die infolge des Niedergang der südtiroler Brauereien nach dem Ende des Ersten Weltkrieges von allen, einschließlich den Südtirolern selbst, ausschließlich als Weinregion wahrgenommen wird und in der lange Zeit eine einzige Brauerei das Biergeschehen dominiert.
„Für den typischen südtiroler Biertrinker hatte ein Bier bis vor kurzem ein „Helles“ zu sein“, so Pichler. Es war nicht einfach, den „typischen südtiroler Biertrinker“ und die Feinschmecker der Region gleichermaßen von den neuen Bierspezialitäten zu überzeugen.
Beiden Gruppen standen viele alte Gewohnheiten und Vorurteile im Wege. „Das ändert sich zum Glück gerade, vor allem die jüngere Generation ist Craft Beer gegenüber sehr aufgeschlossen“, freut sich Pichler.
Auch bei den Getränkehändlern besteht zunächst eine große Skepsis gegenüber den neuen, „wilden“ Bierstilen der kleinen Brauereien.
„Wer bitteschön wird das denn trinken?“, fragt sich die Branche.
Diese Haltung hat sich nach der umfangreichen Überzeugungsarbeit der Brauer inzwischen grundlegend geändert: „Heute gibt es nur noch sehr wenige Händler, die nicht von der neuen südtiroler Bierkultur überzeugt sind“, sagt Pichler.
Widmann sieht es genauso: „Alle Beteiligten der Branche erkennen langsam, dass ein Miteinander wichtig ist und wir nur so die Bierbegeisterung insgesamt auf ein höheres Niveau bringen können.“
Neues Trinkverhalten
Die Bemühungen der Branche zeigen Wirkung. So passt sich das Trinkverhalten vieler Südtiroler bei Bier bereits an die neue Biervielfalt und das Credo, Bier genau wie Wein als hochwertiges Genussmittel wahrzunehmen, an.
Und auch in der gehobenen Gastronomie sowie den Hotels der Region finden sich inzwischen zumindest die nicht ganz so exotischen Biersorten der Craft-Brauer.
„Man muss die Leute hier langsam an die neuen Biere heranführen“, betont auch Maximilian Ried. Der gebürtige Bayer, der seit 2015 als Braumeister bei der kleinen, aber sehr erfolgreichen Brunecker Wirthausbrauerei „Rienzbräu“ tätig ist, hat unter anderem auch deshalb zunächst ausschließlich nach dem „Deutschen Reinheitsgebot“ gebraut.
Im Herbst letzten Jahres war die Zeit dann reif, es gab ein Kürbis-Ale am Hahn von Rienzbräu. Das Bier kam bei der überwiegenden Mehrheit der Kunden sehr gut an.
Allerdings gab es auch Beschwerden. „Das war aber zu erwarten“, sagt Ried, „so ein Bier ist nichts für jeden“.
Als nächtes geht nun als nächstes sein mit regionalem Hanf versetztes Bier an den Start, später soll ein Kastanienbier folgen. „Ich glaube, unsere Kunden sind nun bereit für mehr Vielfalt“, sagt Ried mit einem Augenzwinkern.
Was den Craft-Brauern Südtirols in Sachen Erfolg sicherlich in die Hände spielt, ist, dass sie alle auch die „klassischen“ Bierstile wie „Helles“ oder „Weißbier“ anbieten.
Um sich in diesen Segmenten von der Masse der Biere abzugrenzen, die bereits zuvor in den Wirtshäusern, Hotels und Supermärkten Südtirols erhältlich waren, bedarf es einer stabilen, hohen Qualität. Und die haben die Wirtshausbrauereien Südtirols geliefert.
Wer sein Handwerk so gut beherrscht, dem fällt es auch leichter, ausgefallenere Biere mit Hand und Fuß zu brauen, die auf dem gewohnten Geschmack der heimischen Biertrinker aufbauen und diesen dann sukzessive ausbauen.
Braumeister Pichler erklärt es so: „Da ich aus der Region stamme, habe ich einen Geschmack, der dem vieler Südtiroler ähnlich ist. Das ist ein großer Vorteil für eine kleine Brauerei, die ihr Bier vorwiegend regional verkauft.“
Geheimtipp für Bierliebhaber
Ganz nebenbei profitiert von dem Umdenken der Südtiroler in Sachen Bier auch die Region selbst: Je mehr sich Südtirol für Bier interessiert, desto mehr Bierfans interessieren sich für Südtirol.
Von einem Boom des Biertourismus zu sprechen, wäre allerdings noch zu hoch gegriffen.
Aber langsam und stetig steigt der Bekanntheitsgrad Südtirols in Bierkreisen und parallel dazu auch die Anzahl der Besucher, die die südtiroler Biervielfalt kennenlernen möchten.
„Wir merken, dass Bier sich einer wachsenden Beliebtheit erfreut und immer größere Aufmerksamkeit auf sich zieht“, sagt Martina Berger von „IDM Südtirol – Alto Adige“ (IDM), dem Verband der Tourismusorganisationen der Provinz.
Infolgedessen hat die IDM nicht nur das regionale Qualitätssigel „Qualität Südtirol“ auf Brauereien, die ihr Bier hauptsächlich mit südtiroler Zutaten brauen, ausgeweitet, sondern unterstützt auch das Bierfestival „Beer Craft“ und hat die Einrichtung von sogenannten „Bierradtouren“, die den Besuch der Wirtshausbrauereien mit Fahrradrouten durch die Region kombinieren, gefördert.
Schulterschluss mit südtiroler Wein
Regionalität ist wieder in, auch in Sachen Bier.
„Unser Kranewitten und die Gose sind mit 100 Prozent südtiroler Getreide, wie Gerste, Weizen oder Dinkel, gebraut, worauf wir sehr stolz sind“, erklärt Batzen Bräu-Brauchef Pichler, dessen Brauerei zu den bisher zehn Brauereien Südtirols gehört, die das „Qualität Südtirol“-Siegel verwenden und damit für ihre Brauerei werben dürfen.
Bier als Genussprodukt ist dank der unermüdlichen Arbeit einiger lokaler Pioniere wieder auf Erfolgskurs in Südtirol.
Ein Kurs, von dem nicht nur die Brauer und Händler profitieren, sondern die gesamte Region und vor allem die Bierliebhaber, die nun zunehmend auch aus dem Ausland kommen, um die besonderen südtiroler Biere zu verkosten.
Und auch den Weinliebhabern haben die Craft-Brauer Südtirols inzwischen die Hand ausgestreckt: Die Batzen Bräu-Brauerei hat ein „Italien Grape Ale“ (IGA) eingebraut, für das südtiroler Gewürztraminer-Trauben mit südtiroler Malz zu einem „Weinbier“ vermengt wurden.
Dieses wurde im Februar 2018 auf dem „Birra dell‘Anno“ unter die drei besten Vertreter dieser Stilrichtung gewählt. Warum soll es Entweder-oder sein, Wein oder Bier, wenn auch beides geht?!
Gleichwertig nebeneinander und manchmal sogar zusammen. Genug Platz für Gipfelstürmer ist in Südtirol allemal vorhanden.